Schlichtweg besser
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Der Sonneberger SV hat dem SV Hermsdorf äußerst deutlich seine Grenzen aufgezeigt. 18:29 (10:13) unterlegt das Team von Pierre Liebelt.
Von Marcus Schulze
Hermsdorf. Felix Reis stand der Sinn nicht nach Lebkuchen. Dankend lehnte er das durch und durch schokoladene Angebot - eine blaue Verpackung suggeriert in den meisten Fällen, dass der Inhalt im Vollmilch-Schokoladen-Gewand daherkommt - seines jüngeren Bruders ab. Stattdessen breitete er sich auf der Tribüne der Werner-Seelenbinder-Halle aus, machte sich Sitzreihen übergreifend lang und ließ das gerade Geschehene nach einmal Revue passieren.
Eine Mischung aus Desillusionierung, Fassungslosigkeit und reichlich Frust konnte man seiner Körpersprache und auch seinem Gesichtsausdruck in diesen Momenten, die Partie gegen den Sonneberger SV war nur seit ein paar Minuten Geschichte, entnehmen. Doch zu groß war die Schmach, die er und seine Mitstreiter da am Sonnabend über sich ergehen lassen mussten, verloren sie doch in den eigenen vier Handball-Wänden deutlich mit 18:29. Und diesbezüglich schüttelte Felix Reis, nachdem er sich wieder in die Waagerechte begeben hatte, nur noch leicht paralysiert den Kopf.
Die Höhe der Niederlage wurmte auch einen Jan Heilwagen gewaltig, der den Historiker in Sachen Handball in sich aktivierte, um ein vergleichbares Debakel ausmachen zu können. Ja, so etwas Ähnliches habe es wohl schon einmal gegeben, erinnerte sich der kleine Flügelflitzer. Der Umstand, dass man schon einmal so massiv zu Hause abgewatscht wurde, sei jedoch so gar kein Trost.
"Das kann man sich nicht anschauen", sagte ein älterer Hermsdorf-Fan zu einem nicht minder jüngeren irgendwann während der zweiten Halbzeit im Foyer, als längst absehbar war, wer denn an diesem Spieltag als Verlierer vom Spielfeld gehen wird. Einer der beiden machte sich dann auch auf den Heimweg, das werde sowieso nichts mehr. Und diese Meinung hatte er sicherlich nicht exklusiv, denn irgendwann verstummte jene sonst so martialisch daherkommende Seite in der Werner-Seelenbinder-Halle, zumindest in akustischer Hinsicht, vollends, während die andere - jene, auf der die Sonneberger Schlachtenbummler die Felle ihrer Trommeln strapazierten - immer lauter wurde. Ja, es mangelte nicht an Zuschauern, womöglich waren in dieser Saison in der Thüringenliga noch nie so viele da wie an diesem Spieltag. Und dann so was.
10:13 lautete der Pausenstand, da war noch nichts entschieden, obwohl der aufmerksame Beobachter schon während der ersten 30 Minuten eine recht eindrucksvolle Idee davon bekam, mit wem es das Team von Pierre Liebelt an diesem Abend zu tun hatte: mit einem souverän auftretenden Sonneberger SV, der sich so gar nicht domestizieren ließ - besonders in der Offensive. Doch Martin Ehm, Maximilian Remde, Jan Minas oder Sebastian Hammer gaben nicht klein bei, hielten die Partie in jener Phase noch offen, zumal sie einen Rückstand von beachtlichen sechs Toren (7:13) auf eben drei bis zur Pause verkürzen konnten.
Mario Kühne mutierte zur Salzsäule
Nein, das war nicht der Knackpunkt, der folgte jedoch geradezu umgehend mit dem Wiederanpfiff, als denn die Gäste aus der Spielzeugstadt binnen weniger Minuten regelrecht die Heimmannschaft überrollten. Doch das Team von Trainer Konstantin Selenow spielte nicht, vielmehr zeigte es dem SV Hermsdorf seine Defizite und Grenzen auf. Und zwar äußerst deutlich. Plötzlich lagen die Handballer aus dem fränkisch geprägten Süden Thüringens binnen fünf Minuten mit acht Toren (18:10) in Front, nach 40 Minuten waren es gar zehn Treffer (11:21).
Von jenem Rückstand während der quasi Einführung in den zweiten Akt des wahrhaftigen Dramas Hermsdorf vs. Sonneberg erholte sich das Team von Pierre Liebelt, das ohne Marvin Schreck (Urlaub) und Vladut-Razvan Vlad (Schulterverletzung/ fällt für mehrerer Monate aus) auflief, nicht mehr.
Zu jenem Zeitpunkt in der zweiten Halbzeit schwante so manchem Anwesenden bereits nichts Gutes, allen voran Mario Kühne, der irgendwann da oben auf dem Balkon drohte zur Salzsäule aufgrund des Dargebotenen zu erstarren. Mitunter regungslos, dabei stets mit verschränkten Armen, was wiederum seine Reserviertheit betonte, stand er einfach nur noch da. Wenn es indes eng zugeht in einer Partie, gibt er ja mehr ein Art von Rumpelstilzchen auf MDMA da oben. Der Umstand jedoch, dass er stumm - vielleicht sogar auch stoisch - nach innen litt, frei von kanalisierenden Bewegungen, war ein mehr als deutliches Indiz dafür, dass auch er darum wusste, dass sein SV Hermsdorf heute verlieren wird. "Das war bis jetzt das stärkste Team, auf welches wir in der Thüringenliga gestoßen sind", resümierte Pierre Liebelt mit steinernem Gesichtsausdruck. Besonders die Kreisläufer Tom Rehm und Krisztian Benak hätten seiner Abwehr das Leben sichtlich schwer gemacht. "Gegen solche Spieler fehlt uns einfach die Erfahrung", sagte der Trainer, der auch auf die vielen individuellen Fehler seines Teams im Defensivverhalten verwies. Oftmals kleine Details in der Abstimmung mit dem Mitspieler, die jedoch in der Summe reichlich Schaden anrichten würden. Und auch in der Offensive habe man - mal wieder - so einiges liegen lassen. 13 Fehlwürfe, dazu noch drei Versuche, die der äußerst gut aufgelegte Sonneberger Keeper entschärfte. "Die waren heute schlichtweg besser", so das Fazit von Pierre Liebelt, der auch darauf verwies, dass keiner seiner Spieler, mit Ausnahme von Jan Minas, nur annähernd seine Normalform habe abrufen können. Und so haderte ein Felix Reis nach der Partie nicht nur mit der eigentlichen Niederlage, sondern auch mit seiner eigenen Leistung. Zugegeben, Maximilian Remde kämpfte in beide Richtungen und auch ein Sebastian Hammer mühte sich, doch das allein konnte den Ausfall eines Martin Ehm oder eines Jan Heilwagen nicht kompensieren.
Dass das Spiel nicht gänzlich unter der Kategorie "Katastrophe" verbucht werden musste, obwohl es Tendenzen diesbezüglich zweifelsohne gab, hatten die Kreuzritter ihrem Torwart Robert Zehmisch zu verdanken, der in diesem traurigen Stück Ligaalltag zur Höchstform auflief. Von insgesamt 15 Paraden, inklusive gehaltener Sieben-Meter, wurde da gesprochen. Das Dargebotene von Robert Zehmisch war letztlich der Gegenentwurf, sprich die Antithese, zum restlichen Agieren seitens des SV Hermsdorf auf dem Feld. Klingt komisch, war aber so.
Nach der Partie musste sich Pierre Liebelt bei der Pressekonferenz rechtfertigen, denn der eine oder andere Fan hielt seinen Unmut nicht zurück. Der Trainer beschwor die Geduld, verwies darauf, dass er dabei sei, ein junges Team zu formen, welches auf lange Sicht den Erfolg wieder nach Hermsdorf bringen soll. Doch dergleichen geschehe nicht über Nacht. Von einer kurzfristigen Lösung, indem man Spieler aus dem Ausland holt, distanzierte sich der SV-Coach aus vollem Herzen.
"Es gibt Spiele, da muss man einfach anerkennen, dass der Gegner überlegen ist. Doch aus dieser Partie haben gerade meine jungen Spieler eine Menge mitnehmen können", sagte der Trainer während der Pressekonferenz in einem apologetischen Anflug. Sonneberg habe gerade in der Abwehr so gespielt, wie er sich das perspektivisch beim SV Hermsdorf vorstelle. Nichtsdestotrotz gebe es aufgrund der Deutlichkeit der Niederlage nichts zu beschönigen, Diskussionen rund um Schiedsrichterentscheidungen würden die Aura der Ausrede umgeben, so der Trainer weiter, der später dem sichtlich angefressenen Jan Heilwagen folgenden Tipp gab: Er solle an dieses Spiel doch bitte schnellstmöglich einen Haken machen. Viel schlimmer sei die Niederlage gegen Werratal gewesen. Denn die hätte man verhindern können.
SV Hermsdorf: Ehm (1), Friedrich, Hammere (2), Heilwagen, Krüger (2), Minas (3), Nedved, Reis (1), Remde (4), Riedel (2), Rudolph (3), Zehmisch
(Quelle: OTZ/Marcus Schulze/21.11.2017)