Kakophonische Symphonie in der Gasse
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Beim Finale der Thüringenliga muss sich der SV Hermsdorf Meister HBV Jena 90 mit 26:28 (11:17) geschlagen geben
Von Marcus Schulze
HERMSDORF. Wer einmal ganz nah dran sein möchte am Pulsschlag des Handballs in Hermsdorf, der sollte sich in der Endphase einer heiklen Begegnung einmal in die Gasse – man könnte auch Schlucht sagen – zwischen den beiden Tribünen am Eingang begeben. Mehr Atmosphäre, mehr Leidenschaft, vielleicht sogar mehr Sport-Wahnsinn wird man in der Werner-Seelenbinder-Halle, mal abgesehen vom eigentlichen Spielgeschehen und der trommelenden Kapelle im hintersten Winkel der Tribüne zur Linken, nicht erleben.
In dieser überschaubaren Gasse war nun am Sonnabend kurz vor 21 Uhr kaum noch ein Durchkommen. Zahlreiche Fans des SV Hermsdorf hatten sich an besagtem Ort versammelt und verfolgten – durch die Bank weg leidend – das Derby zwischen ihren Kreuzrittern und Aufsteiger HBV Jena 90. Eine Mutter hatte so ihre liebe Not, als sie sich durch die dicht besiedelte Gasse ihren Weg gen Toilette mit ihrem Nachwuchs bahnen wollte. Das Kind wiederum hielt sich aufgrund der martialischen Akustik, für die die Lars Ulrichs, Dave Lombardos und Oskar Matzeraths – obwohl der zu subversiv war – im hintersten Winkel zur Linken verantwortlich waren, die Ohren zu. Wenn man nun in der Gasse für ein paar flüchtige Momente in dieser hitzigen Phase des Spiels verweilte, spürte man regelrecht, wie denn die rechte Tribüne, auf der sich die HBV-Schlachtenbummler befanden, und die linke Tribüne, welche seit jeher das Domizil der altgedienten SV-Anhängerschaft ist, kulminierten. Dionysische Freude und kathartisches Leid beider Lager vermischten sich an jenem Flecken zu einer kakophonischen Symphonie. Mal wetterte die eine Seite, dann wieder die andere, irgendwann dann beide synchron. Dazu das aufgeladene Geblubber in der Gasse selbst, welches den SV-Fans gebührte.
„Rooooobert“, hallte es vom Balkon
Stand man nun ganz hinten in dieser Menschentraube, sah man naturgemäß nichts vom eigentlichen Spielgeschehen, vielmehr hörte – und fühlte – man, wenn es denn mal wieder auf dem Feld rumorte, ein Tor fiel – wollte man wissen für wen, musste man sich an seinen Vorderleuten orientieren – oder Robert Zehmisch mal wieder eine akrobatisch-erfolgreiche Aktion im Tor kredenzte. „Rooooobert Zehmisch!“, verkündete dann Holger Posse oben auf seinem Balkon. Besonders groß war die Freude über den „Rooooobert“, als er denn einen Sieben-Meter von einem gewissen Sebastian Triller parierte. Ausgerechnet von Triller, der ja in der vergangenen Saison noch für Hermsdorf, wenn auch lange verletzt, spielte. Ja, beim vorläufig letztmaligen Aufeinandertreffen der Teams aus Hermsdorf und Jena mangelte es nicht an Galle. Natürlich war die unglückliche Niederlage Ende Januar in Jena im kollektiven Gedächtnis der SV-Anhängerschaft noch allgegenwertig.
So ein bisschen erinnerte das Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften an den Film „Der Leopard“ (1963) von Luchino Visconti, in dem der Adel dem aufstrebenden Bürgertum in der Mitte des 19. Jahrhunderts weichen muss. Der alteingesessene Handball-Adel des SV Hermsdorf hatte natürlich – mitunter argwöhnisch – verfolgt, wie denn der „Emporkömmling“ HBV Jena 90, der noch vor zwei Jahren mit Ach und Krach den Klassenerhalt in der Thüringenliga schaffte, an den Kreuzrittern vorbeizog. Im Holzland muss man sich indes erst einmal damit arrangieren, dass man noch ein weiteres Jahr in der Thüringenliga verweilen wird. Entsprechend schmerzte es da wohl hie und da tief in der Brust auf der linken Tribüne, als denn nach den 60 Minuten die „Gang von der Saale“ ihren Freudentanz zelebrieren konnte, während die Spieler des SV Hermsdorf eher desillusioniert aus ihrer Sportbekleidung blickten. Nein, so wollte man die Saison nicht beenden, zumal in den eigenen vier Wänden und wohl schon gar nicht gegen „die Schnösel aus der Uni-Stadt“ (ein noch verhältnismäßig freundlicher O-Ton auf der Tribüne).
Als Maximilian Remde in der 49. Spielminute erstmals für die Hausherren egalisieren konnte, hatte es den Anschein, dass die Mannen von Pierre Liebelt womöglich jene offene Rechnung aus dem Januar begleichen könnten, doch Sebastian Triller (51.) und Patrik Pristas (52.) bauten die Führung für den HBV Jena wieder auf zwei Treffer (24:22) aus. Es war dann der unermüdliche Felix Reis (52.), der den Rückstand wieder auf einen Treffer schmelzen ließ, bevor denn Sebastian Triller den Vorsprung erneut auf zwei Zähler (25:23) hochschraubte.
Es war schließlich Jan Heilwagen, der noch einmal die komplette Gefolgschaft der Handballer aus dem Holzland hoffen und auch aufschreien ließ, als er denn zum temporären Spielstand von 24:25 (53.) traf. Doch damit nicht genug, konnte doch anschließend – wie anfangs erwähnt – Robert Zehmisch einen Sieben-Meter (55.) von Sebastian Triller parieren. Es ist anzunehmen, dass danach die eine oder andere Trommel da im hintersten Winkel der linken Tribüne das Zeitliche segnete. Nicht wenige hatten wohl die Aktion des SV-Schlussmannes als eine Art Zeichen interpretiert, dass denn nun die Stunde der Kreuzritter angebrochen sei.
Doch wie das nun manchmal so läuft im Leben und auch im Handball: man interpretiert die Zeichen und die gehaltenen Sieben-Meter falsch, insbesondere, wenn der Nicht-Schütze Sebastian Triller heißt, der dann nur 13 Sekunden später aus dem reinen Spiel heraus zum 26:24 für die „Gang von der Saale“ traf. Was nun in jener Phase Sebastian Triller für den HBV Jena war, fand sein Pendant auf der Seite des SV Hermsdorf in Form von Felix Reis, der noch einmal verkürzte. Wahrscheinlich gingen nach dem Treffer zum 25:26 weitere Trommeln zu Bruch.
Die Freude über das Tor war jedoch nur von kurzer Dauer, traf doch 27 Sekunden später Patrik Pristas, bevor denn Sebastian Triller zum Albtraum der SV-Fans mutierte und zum 28:25 für das Team von Ralph Börmel verwandelte. Der finale Treffer gebührte dann Felix Reis gut 90 Sekunden vor Abpfiff des – vorläufig letzten – Derbys.
Sieben-Meter von Sebastian Triller pariert
Ein gewisse Ambivalenz dominierte anschließend das Geschehen. Reagierte auf der einen Seite der Frust, war auf der anderen die Freude schier grenzenlos. Pierre Liebelt blickte auf das Ganze mit versteinerter Miene, was sicherlich auch dem Umstand geschuldet war, dass sein Team aufgrund der Niederlage die Saison 2017/18 auf Platz vier beendet.
Nun gehört es zu den ausgesprochenen Stärken von Pierre Liebelt, dass er kein Anhänger cholerischer Polemik ist, vielmehr demonstrierte er auch in dieser für ihn nicht sonderlich erfreulichen Stunde Größe, wusste das Handball-Stück letztlich in Gänze zu deuten: „Jena hat verdient gewonnen“, lautete der erste – durch und durch – lakonische Kommentar des Trainers. Sein Team habe im ersten Durchgang, als sich denn der HBV Jena auf beachtliche sieben Tore (16:9/26. bzw. 17:10/29.) absetzen konnte, zu viele Chancen nicht genutzt. Dass sein Team, das nie die Führung innehatte, dann doch noch ausgleichen konnte, würde die Moral und die Einstellung seiner Spieler unterstreichen, führte der SV-Coach weiter aus.
Und ja, die erste Halbzeit habe ihnen das Genick gebrochen. „In der zweiten Halbzeit haben wir viel besser agiert, gerade wenn wir schnell gespielt haben. Anders lief es, wenn wir denn zu statisch agierten, dann hatte uns die Jenaer Deckung gut im Griff“, so der Trainer weiter, der mit vereinzelten Entscheidungen des Unparteiischen ein wenig haderte. Am Ende sei es das emotionale Spiel gewesen, das alle im Vorfeld erwartet hätten. Jena habe es sich nicht bequem gemacht, schob Pierre Liebelt noch hinterher.
Die gesamte Handball-Klaviatur wurde an diesem letzten Spieltag zweifelsohne noch einmal bedient. Und diesen Rundumschlag in Sachen Gefühle brachte die Tochter von Pierre Liebelt, die während des Interviews auf dem Schoß von ihrem Papa geduldig ausharrte, wie folgt auf den Punkt: „Das war ein gutes Spiel. Am Ende war es nur sehr knapp.“ Der Papa nickte zustimmend, konnte gar ein wenig lachen.
SV Hermsdorf: Rudolph 2, Schreck, Reis 8, Schreiber 4, Riedel 1, Nedved, Hammer, Heilwagen 3, Ehm 4, Zehmisch, Anlauf, Remde 2, Krüger, Minas 1
© Ostthüringer Zeitung 2018 – Alle Rechte vorbehalten. (08.05.2018)