Warum beim SV Hermsdorf die Ärzte liefen und sich Jan Heilwagen fast die Fingerkuppen abbiss
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HERMSDORF. Für ihr Heimspiel in der Oberliga empfingen die Handballer des SV Hermsdorf den HC Glauchau/Meerane – über ein Lied für einen Kreuzritter, einen lang vermissten Rückkehrer, ein katzenartiges Manöver zwischen den Pfosten und wahrlich aufreibende Schlussminuten...
„Paul!Paul!Paul!Paul! Paul ist toll!“
In der 52. Spielminute dröhnte da plötzlich das bekannte Intro des Songs „Paul“ von den Ärzten aus dem Jahr 1984 durch die Werner-Seelenbinder-Halle in Hermsdorf. Der Erguss aus der Frühphase der selbsttitulierten besten Band der Welt karikiert den Arbeitsalltag und die Marotten eines attraktiven Bademeisters im lokalen Schwimmbad, der eine gute Figur beim gar furchtlosen Sprung vom Turm macht, ein Goldkettchen trägt und beim Flirten mit weiblichen Badegästen eine ganze eigene und wenig subtile Vorgehensweise pflegt: „…und findet Paul mal ein Mädchen nett, wirft er sie vom Zehnmeterbrett...“, weiß Ärzte-Frontmann Farin Urlaub aus dem Schwimmbad um die Ecke zu berichten...
Ob nun Paul Götze aus den Reihen des SV Hermsdorf auch während eines Turmsprungs wie Superman daherkommt, ein Goldkettchen präsentiert und auch so rustikal flirtet wie sein Namensvetter in der roten Badehose, kann an dieser Stelle – zumindest vorerst – nicht beantwortet werden. Was Paul Götze aber definitiv kann: Tore werfen, wenn es vonnöten ist – zumindest war das am Samstagabend der Fall, als die Kreuzritter in der Mitteldeutschen Oberliga den HC Glauchau/Meerane empfingen und letztendlich auch mit 31:30 siegten.
Unmittelbar nach seiner Einwechslung in der einsetzenden Schlussphase der Partie erzielte er binnen drei Minuten drei Tore; der Rückraumakteur traf zum temporären 28:25 (50.), zum 30:26 (52.) sowie zum 31:26 (52.) – und nach dem dritten Treffer kredenzte Hallen-DJ Holger Posse kurzerhand besagtes Intro aus der Feder der Berliner Pop-Punker. „Als ich vor vier Jahren erstmals in Hermsdorf aufschlug, hatte Holger sofort das Lied von den Ärzten auf den Lippen“, erinnerte sich Paul Götze und lachte. Sein Einsatz am Samstag war im Vorfeld indes fraglich, da er sich während eines Trainings das Knie verdrehte und daraufhin von Schmerzen geplagt wurde, doch letztendlich sei das alles halb so wild gewesen, resümierte der 25-jährige Lehramtsstudent auf Geografie und Sport. Seine drei Tore wiederum wollte er nicht überbewerten: „Dafür habe ich in der ersten Halbzeit sehr unglücklich agiert und bin jetzt einfach nur, froh darüber, dass wir es am Ende als Team geschafft haben und ich meinen Teil dazu beitragen konnte.“
Doch die Kreuzritter hatten gen Ende der Begegnung ein gewaltiges Problem: Das dritte Tor von Paul Götze sollte gleichzeitig auch ihr letztes gewesen sein, während die Gäste ihren Rückstand in den noch ausstehenden acht Minuten sukzessiv verkürzten und 43 Sekunden vor dem Ende der Begegnung auf ein Tor (30:31) herangekommen waren. Zuvor konnte Keeper Robert Zehmisch beim Stand von 31:29 einen Wurf auf sein Gehäuse mit seinem linken Bein entschärfen – nicht wenige auf der Tribüne waren der Überzeugung, dass er mit seinem katzenartigen Manöver eine gewaltige Aktie daran hatte, dass der SV Hermsdorf mit seinen Fans am Ende gar ausgiebig jubeln durfte. „Das war heute nicht mein bester Tag, aber manchmal hält man an so einem wenigstens diesen einen wichtigen Ball“, sagte Robert Zehmisch, der sich jedoch mehr als nur einmal auszeichnete. Definitiv...
Die erste Halbzeit konnten indes die Westsachsen, die als Sechstplatzierter im Saale-Holzland-Kreis aufliefen, für sich entscheiden. Von Anfang an hatten sie die Führung inne und durften mehr als nur einmal einen Vorsprung von drei Toren (5:2/11., 10:7/18., 13:10/23. und 14:11/24.) während des ersten Aktes ihr Eigen nennen, doch als die Pausensirene dröhnte, trennten die Kreuzritter und die Gäste lediglich ein Tor (15:16). In der 32. Minute gelang den Hausherren dank Haudegen Stefan Riedel erstmals die Egalisierung (17:17). Während der folgenden 13 Minuten konnte sich indes keines der beiden Teams nennenswert absetzen; einer Minimalführung folgte oftmals der Ausgleich, doch nach dem erfolgreichen Agieren von Hannes Rudolph, Erik Berényi, Erik Szommer und natürlich Paul Götze wandelte sich der Spielstand zu Gunsten der Gastgeber von 25:25 (46.) zu 31:26 (53.) – und dieser Vorsprung sollte letztendlich auch genügen...
Entsprechend zufrieden blickte dann auch Tobias Högl nach der Partie aus seinem roten Hermsdorf-Hoody, während er vor der Halle ein Lungenbrötchen genoss: „Heute haben wir endlich einmal Moral bewiesen und gekämpft – und zwar das gesamte Team“, resümierte der Trainer, der an diesem Tag im Alleingang die Geschicke der Kreuzritter lenkte. Mario Kühne war zwar zugegen, aber nicht in offizieller Funktion. Högl betonte jedoch auch, dass es seine Mannen gen Ende unnötig spannend gemacht hätten, obwohl sie mit fünf Toren in Führung lagen. Aus für ihn unerklärlichen Gründen seien sie auf einmal nervös geworden. „Da hatten wir das Glück, dass Glauchau auch Bälle verworfen hat“, sagte Tobias Högl.
Der erfolgreichste Werfer in den Reihen war indes Daniel Zele, der insgesamt sechs Tore zum Sieg der Hermsdorfer beisteuerte. Für den nunmehr 31-jährigen Rückraumakteur war es das erste Spiel der Saison 22/23 mit dem SV Hermsdorf in der Mitteldeutschen Oberliga. Eine Meniskusverletzung samt Operation hatte ihn über Monate zur Passivität verdammt. Entsprechend glücklich war die Urgewalt mit den ungarischen Wurzeln, dass sie nun wieder in das Geschehen eingreifen konnte, zumal hinter seinem Einsatz die Woche über – wie schon bei Götze – ein großes Fragezeichen stand: Sein Knie war nach einem Training angeschwollen.
„Ich war erst skeptisch, doch dann habe ich mir gesagt, dass ich wenigstens die Erwärmung mitmachen will und dann einfach schaue, ob es mir möglich sein wird, zu spielen – und anscheinend haben meine Motivation und mein Adrenalin meine Schmerzen überspielen können. Ich verspürte aber auch eine ungemeine Lust, zu spielen; ja, ich hatte einfach nur Bock, obwohl ich überhaupt keine Spielpraxis besaß“, sagte Daniel Zele, der in der 20. Minute erstmals eingewechselt wurde – und lieferte.
Tobias Högl wiederum charakterisierte das Dargebotene seines Schützlings an diesem Spieltag als schlichtweg überragend. Zele wiederum bewies nach der Partie – mit Blick auf seine Verletzungsgeschichte – Humor: „Nach 23 Jahren Handball darf ich das haben.“
Ach ja, wie spannend, ja wie aufreibend sich die Schlussphase der Begegnung gestaltete, spiegelte sich nicht nur in dem angespannt-nervöses Agieren von Mario Kühne in der Nähe der Fluchttür wider – mitunter erinnerte er an Mark Renton aus „Trainspotting“, als dieser nicht mehr der Nadel frönen wollte –, sondern vor allem in der Aussage von Jan Heilwagen nach dem Abpfiff, der das Spiel als Zuschauer erlebte: „Da beißt du dir die Fingerkuppen ab.“
(Quelle: OTZ/Marcus Schulze/05.02.2023)