„Wir wollen keine Legionäre“
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Interview der Woche. Am Sonnabend beginnt für Pierre Liebelt und die Handballer des SV Hermsdorf die Thüringenliga
Hermsdorf. Dienstagvormittag, Pierre Liebelt ist gerade auf dem Weg zur Arbeit, düst mit seinem Auto über die A4 gen Gera, wo seine Schule ist, in welcher er unterrichtet. Und da der Trainer des SV Hermsdorf in seinem Auto über eine Freisprechanlage verfügt, konnte er kurzerhand ein Interview rund um die Vorbereitung, den HBV Jena 90 und die am Sonnabend beginnende Saison in der Thüringenliga geben.
Verfolgen Sie eigentlich das Handball-Geschehen in Jena?
Ein bisschen, der regionale Bezug ist ja gegeben.
Und wie ist das so? Kommt da nicht ein wenig Neid bei Ihnen auf?
Warum sollte ich neidisch sein?
Der HBV Jena spielt nun in der Mitteldeutschen Oberliga, hat zudem sein Debüt am Wochenende erfolgreich bestritten und verfügt wahrscheinlich auch über adäquate finanzielle Mittel.
Das mag ja alles zutreffen, doch dafür haben sie kaum noch einheimische Spieler in ihren Reihen. Fast die gesamte Mannschaft wurde binnen zwei Jahren ausgetauscht. Und das ist halt immer die Frage: Wie will man den Erfolg erreichen? Wir haben beim SV Hermsdorf mittlerweile eine andere Philosophie.
Die da lautet?
Wir wollen mit jungen Spielern etwas aufbauen. Wir wollen keine Legionäre aus dem Ausland.
Klingt nach Nachhaltigkeit?
Exakt, die streben wir auch an, doch daran müssen wir auch noch hart arbeiten. Auch beim SV Hermsdorf hat man viele Jahre nicht wirklich darauf geachtet, hat oftmals nur von einer Saison zur anderen gedacht.
Wollen Sie also ausschließen, dass niemals wieder ein Spieler aus dem Ausland den Weg zum SV Hermsdorf künftig finden wird? In den Jahren zuvor war das Gang und Gäbe.
Komplett ausschließen will ich das natürlich nicht. Wenn einer kommt, der jung ist und hineinpasst. Doch grundlegend entspricht es nicht unseren Vorstellungen. Und eines möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal klarstellen, weil Sie ja immer mit der Jena-Keule kommen: Ich finde es durchaus gut, dass da im Osten, also bei uns in der Region, etwas in Sachen Handball passiert, dass da mal Geld in die Hand genommen wird für jenen Sport, der oft im Schatten vom Fußball steht. Es ist halt nur die Art und Weise, die mir persönlich etwas bitter aufstößt, wenn man denn auf Teufel komm raus etwas erzwingen will.
Klare Worte. Kommen wir mal zu etwas anderem: Die spielfreie Zeit, ist das eigentlich eine angenehme Zeit für Sie? Genießen Sie den Abstand vom Handball?
Auf jeden Fall, da ich mich dann vollends meiner Familie an den Wochenenden widmen kann.
Nach dem letzten Spiel der vergangenen Saison saßen Sie mit versteinerter Miene auf der Tribüne in der Werner-Seelenbinder-Halle, ihre große Tochter saß auf ihrem Schoß. Konnte Ihre Tochter Ihre Enttäuschung über die Niederlage gegen Jena damals etwas lindern.
Ja, konnte sie. In dem Moment, also unmittelbar nach der Niederlage, war ich schon ganz schön angefressen, weil wir dadurch auch auf Platz vier gerutscht sind. Ich habe, wenn ich jetzt zurückblicke, noch gut eine Woche daran zu knabbern gehabt – aber danach konnte ich die Zeit ohne den Sport wahrlich genießen, gerade im Juni.
Ist es für Sie wichtig, auch einmal Abstand vom Handball zu bekommen? Es gibt ja den Typus in der illustren Sportwelt, der absolut deckungsgleich ist mit dem Gegenstand, den er ausübt?
Abstand ist sehr wichtig – zumindest ist das bei mir der Fall.
Haben Sie die Fußball-WM verfolgt?
(lacht) Ja, habe ich. Doch es war ja ein eher kurzes Unterfangen, wenn man denn mit unserer Nationalmannschaft mitfiebern wollte.
Wie haben Sie die freie Zeit verbracht?
Ich war mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern viel in Deutschland und in Österreich unterwegs.
Sie wurden auch bei der Kultur-Arena in Jena gesehen.
Ich habe das Konzert von Freundeskreis besucht. Es war aber das einzige Mal, dass ich in der Arena war.
Konnten Sie da ihr Faible für Hip-Hop und Soul ausleben.
Natürlich. Es war ein schönes Konzert, eine musikalische Zeitreise in die eigene Vergangenheit.
Richten wir unser Augenmerk jetzt wieder einmal auf die Zukunft: Am Sonnabend müssen Sie mit ihren Spielern zum Ligaauftakt nach Sonneberg reisen. Was erwarten Sie?
Das ist ein ordentlicher Auftakt, doch soweit ich weiß, hat sich bei den Sonnebergern mannschaftsintern auch sehr viel getan. Gegen Ende der vergangenen Saison hörten von einem auf den anderen Tag sechs Spieler auf, die umgehend durch ehemalige Akteure ersetzt worden. Jetzt sind wieder neue Spieler an Bord, fast alle aus dem Ausland. Wir werden sehen, wie eingespielt sie sind, doch ich rechne damit, dass es nicht so einfach wird wie bei unserem letzten Termin in Sonneberg. Da haben wir das Geschehen klar dominiert.
Wie gestaltete sich denn die Vorbereitung beim SV Hermsdorf?
Wir haben versucht, sie abwechslungsreich zu gestalten, also nicht nur Waldläufe zu machen, die für den Handball sowieso nur bedingt geeignet sind.
Wieso?
Weil kein Spieler während einer Partie ein und dasselbe Tempo läuft. Daher ist es wichtig, eine handballspezifische Ausdauer samt der notwendigen Geschwindigkeit zu trainieren.
Am Medizinball führt indes kein Weg vorbei in der Vorbereitung.
Auf den kann man immer zurückgreifen, gerade wenn man Übungen durchführt, die im Intervall-Bereich zu verorten sind.
Der eigentliche Ball spielte jedoch eine eher untergeordnete Rolle.
Ja, das kann man so sagen, stattdessen haben wir auch einmal Fußball gespielt gegen den FSV Bad Klosterlausnitz.
Wie ist denn diese Partie ausgegangen?
Wir haben verloren, ich glaube 0:4, doch es war eine gute Trainingseinheit, da Klosterlausnitz kleine und sehr wendige Spieler hat. Da waren unsere Sprintqualitäten gefragt.
Wer sind denn Ihrer Meinung nach die zentralen Protagonisten im Team des SV Hermsdorf?
Was sich in den Vorbereitungsspielen immer mehr herauskristallisiert hat, ist, dass Jan Minas immer mehr Verantwortung übernimmt. Martin Ehm hat sich auch sehr gut präsentiert. Auch Maximilian Remde und Felix Reis haben gezeigt. über was für Qualitäten sie verfügen, doch mitunter mangelt es ihnen noch an der nötigen Konstanz. Was die Abwehr betriff, hat Matthias Krüger einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Sonst noch jemand?
Jan Heilwagen macht sein Ding gewohnt souverän da auf der rechten Seite.
Und Zugang Jannick Möller?
Das hat schon alles gepasst bei ihm, doch natürlich geht da noch mehr in der Abwehr, aber er ist ja auch noch sehr jung. Wenn ich die Mannschaft in Gänze bewerte, komme ich zu dem Schluss, dass wir noch nicht am Limit sind.
Um es einmal im Sport-Sprech zu formulieren: Es ist also noch Luft nach oben vorhanden?
(lacht) Ja, so ist es. Und wo ist jetzt das Phrasenschwein? Nichtsdestotrotz bin ich mit der Vorbereitung zufrieden, auch was die Testspiele betrifft, allein die Partie gegen den HSV Apolda beim Holzland-Pokal war nicht so pralle – und dennoch konnten wir gewinnen. Letztlich haben wir ausschließlich gegen höherklassige Mannschaften gespielt und am Ende nur gegen Pirna mit einem Tor Rückstand verloren. Gegen den HC Burgenland, die gerade die Mitteldeutsche Oberliga anführen, haben wir ja vergangene Woche zu Hause mit einem Tor mehr im Haben gewonnen. Zugegeben, das sollte man nicht überbewerten, doch ein schlechtes Omen ist es nun auch nicht gerade.
Wie lautet denn nun das Ziel für die Saison 2018/19 in der Thüringenliga?
Ein Medaillenplatz. Dass wir das Potenzial haben, hat ja die vergangene Rückrunde gezeigt.
Wer werden denn künftig die härtesten Konkurrenten in der Liga sein?
Ganz klar Bad Blankenburg, die ja eigentlich einen Neunanfang hinlegen wollten und jetzt doch wieder alte Bekannte akquirierten. Dann wird sicherlich die 2. Mannschaft von Eisenach eine Rolle spielen, man muss halt sehen, wie sie sich formieren wird. Außerdem gehe ich davon aus, dass Sonneberg und auch Mühlhausen eine Rolle spielen werden. Und dann wäre da auch noch Suhl, die gute Testspiel-Ergebnisse vorzuweisen haben.
Verspüren Sie Druck oder Anspannung bei Ihren Spielern?
Nein, eher Vorfreude. Wenn ich da nur an Robert Zehmisch denke, der es kaum erwarten kann und noch zahlreiche zusätzliche Übungseinheiten eingeschoben hat. Ich würde fast sagen, dass er noch nie so viel im Vorfeld trainiert hat. Und als Kapitän zieht er dann auch automatisch Leute mit.
Und Sie? Verspüren Sie Druck?
Nein, auch ich freue mich auf die neue Saison. Was ich mir aber wünschen würde, ist, dass man auf der jungen Mannschaft nicht gleich herumhackt, wenn denn nicht alles, wie im Vorfeld gewünscht, laufen sollte.
Sonst noch Wünsche?
Ja, dass Handball in Hermsdorf wieder so zelebriert wird wie zur Rückrunde – auf dem Platz und auch auf der Tribüne. Volle Ränge, gute Ergebnisse – ich sehe da durchaus eine gewisse Kausalität.
(OTZ / Marcus Schulze / 05.09.18)