"Heute würde man mich Lauch nennen"

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Stefan Riedel zieht sich nach 481 Spielen und 1082 Toren aus dem Kader der Oberliga-Mannschaft des SV Hermsdorf zurück – Grund genug, um mit dem 41-Jährigen noch einmal die Saison Revue geschehen zu lassen sowie einen Blick gen Zukunft zu werfen

 

Mit nunmehr 41 Jahren verabschiedet sich Stefan Riedel von der ersten Mannschaft des SV Hermsdorf, doch das bedeutet nicht, dass er nie wieder in den Diensten der Kreuzritter stehen wird – ein Gespräch über die vergangene Saison, die richtige Einstellung, ein einmaliges Gefühl und geklaute Schuhe...

Herr Riedel, nach dem Spiel in Halle haben Sie ein Bild auf Instagram und Facebook hochgeladen – ihr Trikot und ihre Schuhe. Das soll’s wohl jetzt wirklich mit dem Handball gewesen sein?

(Lacht) Es besitzt auf jeden Fall Symbolcharakter – mit dem Bild wollte ich meinen Abschied von der ersten Mannschaft des SV Hermsdorf kundtun.

Ihr letztes Spiel mit der ersten Mannschaft – überkam Sie Melancholie?

Nicht in Halle. Dafür vor und vor allem nach unserem letzten Heimspiel am vergangenen Donnerstag gegen Köthen. Noch einmal konnte ich unsere Fans erleben, die uns die gesamte Saison unterstützt haben – an guten wie an schlechten Tagen. Die Hütte war immer voll, eine atemberaubende Atmosphäre. Da wurde ich schon ein wenig wehmütig.

Der SV Hermsdorf hat sein Ziel erreicht; hat als Aufsteiger die Liga halten können – wie haben Sie die Saison erlebt?

Es war eine schöne Saison – natürlich mit Höhen und Tiefen. Das Wichtigste war jedoch, dass wir nie vom Abstieg bedroht waren und auch nicht bis zum Schluss um den Verbleib zittern mussten. Na klar, in der Hinrunde haben wir unnötig Punkte liegenlassen. Ich sage nur die Partien gegen Dresden oder das Heimspiel gegen Apolda – da haben wir einfach nicht unser volles Potenzial abgerufen. Aber ansonsten hat das schon gepasst, und wir haben die Spiele, die wir gewinnen mussten, letztlich auch gewonnen.

Und wie geht es nun für Sie weiter? Können Sie sich ein Leben ohne Handball überhaupt vorstellen, nachdem Sie über 20 Jahre Bestandteil der ersten Mannschaft des SV Hermsdorf waren?

Der Handball wird immer eine Rolle in meinem Leben spielen, immerhin widme ich mich dieser Sportart seit meinem zwölften Lebensjahr. Doch er wird künftig nicht mehr so omnipräsent sein wie in all den Jahren zuvor. Ich will nicht mehr permanent in der Pflicht stehen; will nicht mehr viermal in der Woche trainieren müssen und am Wochenende auflaufen.

Kann es sein, dass Sie nach all den Jahren ein wenig müde in Sachen Handball sind?

Definitiv nicht. Sobald ich die Jungs sehe und der Anpfiff ertönt, habe ich Bock.

Mario Kühne betonte letztens, dass Sie für ihn Reserve-Status besitzen.

Ich weiß. Auch an anderer Stelle wurde schon mit mir geplant.

Und wo genau?

Tobias (Högl, Anmerkung der Redaktion) gab mir am Samstag zu verstehen, dass er mich als Co-Trainer bei seiner B-Jugend eingetragen hat – er hat mich quasi vor vollendete Tatsachen gestellt. So ist er halt. Außerdem hat er meine Schuhe mitgenommen, die ich ja bekanntlich an den Nagel gehangen habe...

Ach was – damit wollte er Ihnen doch bestimmt etwas zu verstehen geben?

(Lacht) Ich denke auch. Aber Spaß beiseite, ich werde mich auch weiterhin fit halten und gegebenenfalls in der ersten Mannschaft aushelfen, wenn es denn vonnöten sein sollte – dergleichen steht außer Frage. Ich bin nun einmal Hermsdorfer. Was ich aber hinter mir lassen möchte, ist dieser Zwang, dieses Müssen, diese Verantwortung.

Was werden Sie mit der gewonnenen Freizeit anstellen?

Ich bin Vater, habe einen Garten – es gibt so viele andere Dinge neben dem Handball.

Letzte Frage, Herr Riedel: Wie haben Sie das eigentlich geschafft, noch mit 41 Jahren in der Oberliga am Kreis zu ackern? Haben Sie ein paar Tipps für jüngere Spieler?

Ich kann dazu nur eines sagen: man muss schlichtweg mehr machen als die anderen. Und wenn ich Defizite habe, muss ich einfach an ihnen arbeiten – eigentlich ist es ganz einfach. In jungen Jahren hatte ich mir viel von Ferenc Bergner abgeschaut. Er hat es mir und den anderen vorgelebt – und ich habe mich daran orientiert. Doch heutzutage sehe ich nicht mehr diese Bereitschaft, sich zu quälen und einer Sache alles unterzuordnen. Viele wollen die Komfortzone einfach nicht verlassen.

Sie haben besagte Zone verlassen?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Mit Anfang 20 war ich eine regelrechte Bohnenstange und habe etwas über 60 Kilogramm auf die Waage gebracht. Heutzutage würde man mich wahrscheinlich Lauch nennen...

Würde man – und wie haben Sie sich entlaucht?

Ich habe mich gefühlt im Fitnessraum eingeschlossen. Und soll ich Ihnen verraten, warum ich das gemacht habe...

Unbedingt!

Ich hatte ein Ziel: Ich wollte vor dem Publikum in Hermsdorf spielen, vor dieser einmaligen Kulisse – das war für mich einfach das geilste Gefühl. Um in seinen Genuss zu kommen, habe ich hart gearbeitet, ja mich regelrecht gequält. Bei unserem letzten Heimspiel ist mir das noch einmal so richtig bewusst geworden, dass das all die Jahre mein Antrieb, ja mein Motor war, warum ich überhaupt so lange Handball gespielt habe.

Ich bin mir sicher, dass Sie auch in der kommenden Saison hin und wieder in den Genuss dieses Gefühls kommen werden...

(Lacht) Ich glaube auch, doch vorher muss mir Tobias meine Schuhe wiedergeben.

(Quelle: OTZ/23.05.2023)

   

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